
Die Ursulinenschule wurde wie wohl die meisten Schulen durch Corona vor enorme Herausforderungen gestellt, denn guter Unterricht und gemeinsames Schulleben auf Distanz unter ständig wechselnden Rahmenbedingungen gelingt nicht einfach so.
Die Pionierzeit, in der Lösungen für die grundlegenden Probleme gefunden und etabliert werden mussten, und die Zeit längerer Distanzphasen sind (hoffentlich) mittlerweile vorbei und der Blick richtet sich nach vorne. Jetzt geht es darum, mit dem gewonnenen Knowhow die digitale Entwicklung gezielt darauf auszurichten, den Präsenzunterricht der kommenden Jahre effizient mitzutragen, aufzuwerten und zu begleiten. Die Evaluation verschiedener Phasen des (digitalen) Unterrichts in unterschiedlicher Organisationsform des letzten Jahres haben dabei verschiedene grundsätzliche Herausforderungen offensichtlich werden lassen, der sich die Schul- und Unterrichtsentwicklung bei uns stellen muss:
– Wie lässt sich zukünftiger Unterricht digital unterstützend ohne erheblichen Mehraufwand begleiten und sichern? Wie lassen sich im digitalen bzw. digital unterstützten Unterricht Interaktion und Kollaboration stärken? Wie lassen sich der Erwerb digitaler Kompetenzen und digitaler Teilhabe in natürlicher Weise an den digitalen Unterricht anbinden?
– Wie lässt sich sicherstellen, dass in diesem Entwicklungsprozess nicht einzelne Kolleginnen/ Kollegen, Schülerinnen/ Schüler oder Fachgruppen abgehängt oder ausgeschlossen werden?
– Wie lässt sich die klassische Rollenverteilung zwischen Lehrerinnen und Lehrern auf der einen Seite als Anbietern von Aufgaben und Schülerinnen und Schülern auf der anderen Seite als Aufgabenabarbeitende aufbrechen?
– Wie lassen sich in ausreichendem Maße unseren Vorstellungen entsprechende passgenaue und hochwertige digitale Unterrichtsmaterialien finden oder erstellen? Wie lässt sich verhindern, dass dabei von jeder Lehrerin/ jedem Lehrer oder jeder Fachgruppe das Rad ständig neu erfunden wird? Wie lässt sich Qualität sichern bzw. sogar steigern? Welche Synergien lassen sich nutzen?
– Wie lässt sich eine Kultur des konstruktiven Feedbacks und der Wertschätzung in den neu geschaffenen Strukturen einführen und etablieren?
Der Titel unseres Ansatzes „flip the role“ soll ausdrücken, dass wir den Schlüssel darin sehen, dass unsere Schülerinnen und Schüler in hohem Maße in die Gestaltung von hochwertigem digitalem Unterrichtsmaterial und damit auch von Unterricht einbezogen werden sollen.
Wir betreiben bei uns an der Ursulinenschule das „ursuLabor“ als Klammer aller außerunterrichtlichen MINT-Aktivitäten, das von einer Gruppe von Lehrerinnen, Lehrern, Schülerinnen und Schülern im Team geleitet wird. Dem „ursuLabor“ wird die Projektleitung von „flip the role“ strukturell angegliedert, wobei es sich auch hier um ein gemischtes Team aus Kollegium und Schülerschaft handeln wird.
Die Projektleitung stellt zunächst die digitale Infrastruktur zur Verfügung. Sie besteht zum einen aus einem internen „flip the role“-Kursbereich auf unserer Lernplattform, in dem die Autorinnen und Autoren aus der Schülerschaft digitale Inhalte entwickeln können. Weiterhin umfasst sie eine Website, auf der zur Verwendung freigegebene Inhalte entweder in einem schulinternen Bereich oder in einem wirklich öffentlichen Bereich veröffentlicht werden. Dabei wird es eine Katalogisierung und Kategorisierung, Kurzcharakterisierungen, Such- und Filterfunktionen und eventuell die Möglichkeit einer Bewertung geben, über die noch kontrovers diskutiert wird. Ein kleines Filmstudio für die Erstellung von Erklärfilmen und mehrere für die Erstellung digitaler Inhalte optimierte Rechnerarbeitsplätze stehen dienstags im ursuLabor oder nach Vereinbarung zur Verfügung. Die fertigen Filme werden wegen ihrer zu erwartenden Dateigrößen auf einer eigens dafür konzipierten Cloud hinterlegt und von der Website aus verlinkt. Der Umgang mit diesen Ressourcen wird allen Interessierten im Rahmen von kurzen Workshops im ursuLabor beigebracht, wobei ein erfolgreich absolvierter Workshop zur freien Nutzung nach Absprache berechtigt. Zur Grundausbildung gehören neben den grundsätzlichen und speziellen technischen Kompetenzen auch Fragen des Urheberrechts und des qualitativen Anspruchs. Vor der Veröffentlichung eines Inhalts werden diese Aspekte von der Projektleitung überprüft. Die fachliche Betreuung und die Klärung inhaltlicher Fragen aus dem jeweiligen Fachkontext wird dagegen von den Fachkolleginnen und -kollegen übernommen, die aus ihrem Unterricht heraus auch Anlässe für die Entwicklung von Materialien geben.
Auf den entstehenden Materialpool können sowohl Lehrerinnen und Lehrer bei der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung zurückgreifen, als auch Schülerinnen und Schüler im Zuge von Selbstlernphasen oder Prüfungsvorbereitungen. Für in dieser Form genutztes Material soll es ein standardisiertes Feedbackverfahren an die Autorinnen und Autoren geben. Eine Anpassung, Überarbeitung und Optimierung kann aber auch von anderen Schülerinnen und Schülern vorgenommen werden, denn es soll sich ausdrücklich um Material handeln, das einem stetigen Wandel unterzogen werden kann. Dabei werden aber alle Entwicklungsschritte und beteiligten Personen jeweils transparent benannt. Überholte Inhalte können von der Projektleitung komplett entfernt oder zur Überarbeitung ausgeschrieben werden, damit von der Brauchbarkeit der Materialien verlässlich ausgegangen werden kann.
Für den Beginn werden zwei Arten von digitalen Unterrichtsmaterialien in dieser Form angeleitet, erstellt, veröffentlicht, genutzt und evaluiert werden: Erklärvideos und interaktive Inhalte auf Basis von H5P. Beide Formate zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder an bestimmte Jahrgangsstufen, noch an bestimmte Fächer gebunden sind, und dass sie sich von ganz einfachen bis zu hochkomplexen Inhalten und Möglichkeiten erstrecken. So lassen sich im Video sowohl ein einfaches Interview mit einer Expertin ohne Schnitte als auch ein animierter und nachvertonter Versuchsablauf mit Techniken wie „stop motion“ oder green screen“ realisieren. Bei H5P reicht das Spektrum von einfachem Vokabelmemory oder Lückentext bis hin zu aufwendigen mehrstufigen Escape-Szenarien, die multimedial aufbereitet sind.
Das Kollegium wurde bereits an einem pädagogischen Tage der Schule in Workshops darin ausgebildet, sich im Materialpool zu orientieren und gewünschte Inhalte in eigene Kurse der Lernplattform einzubinden.
Die folgende Abbildung zeigt den Bearbeitungszyklus, dem das Material unterworfen ist:
